Vom OP-Saal auf die Brücke: eine ungewöhnliche Lebenswende
Man trifft ihn nicht mehr nur in Klinikfluren, sondern auch an Deck, wenn die See glatt ist und die Sonnenaufgänge rosa an der Bucht von Palma kleben. Der 61-jährige Bayer, früher Herzchirurg und Intensivmediziner in mehreren Unikliniken, hat vor ein paar Jahren einen radikalen Schnitt gemacht: halb Jahr an Bord, halb Jahr Praxis daheim. Keine Midlife-Geschichte mit Strickmütze – eher eine späte, ausgesprochen praktische Neuorientierung.
Seit 2017 ist er als leitender Schiffsarzt bei einer großen deutschen Kreuzfahrtgesellschaft eingesprungen. Seine Aufgabe? Notfälle versorgen, Crew und Gäste beruhigen, und gelegentlich ein offenes Ohr reichen. Die medizinische Ausstattung an Bord liest sich wie ein kleines Krankenhaus: Station, OP, Röntgen, Labor. Trotzdem sind die meisten Fälle eher von menschlicher Natur: Erkältungen, Kreislaufkrisen nach den Buffetgängen, geprellte Knöchel nach Landausflügen. “Langweilig wird es nie”, sagt er, lachend und mit einem Augenzwinkern, das man von jemandem kennt, der unterwegs schon viel gesehen hat.
Wenn Ultraschall zum Wunder wird
Ein Moment an Bord bleibt ihm besonders im Gedächtnis: Eine Frau sucht die Krankenstation wegen heftiger Schmerzen auf; die Untersuchung zeigt auf dem Monitor etwas, womit niemand gerechnet hatte – ein kleiner, schlagender Herzschlag. Jahrelange Enttäuschungen verwandelten sich in Fassungslosigkeit und Freude. Solche Szenen sind es, die ihn daran erinnern, warum er den Wechsel gewagt hat: Medizin trifft Mensch – mitten auf dem Ozean.
Aber es ist nicht nur die Heiterkeit. Es sind auch sehr ernste Stunden. Er erinnert sich an einen Fall, den man nicht mehr reparieren konnte – ein Crewmitglied mit Hirnblutung, an dem trotz aller Bemühungen und modernen Geräten nichts zu machen war. Das Bordteam hat alles versucht; solche Verluste holen einen auch an sonnigen Tagen schnell wieder zurück auf den Boden.
Zwischen Seelsorge und Seefahrtsanekdoten
Auf einem Schiff ist ein Arzt mehr als Diagnostiker. Oft ist er Zuhörer, manchmal Vermittler in Ehekrisen, manchmal der Typ, der bei Heimweh hilft. Und dann sind da die kleinen, fast absurd wirkenden Geschichten: In Gibraltar etwa sorgte ein Affe für Aufregung, als er einer älteren Dame ein Brötchen stahl und sie dabei zu Fall brachte. Zum Glück endete das Ganze mit Schrammen und dem üblichen Stirnrunzeln – und wenig mehr.
Sein Leben an Bord hat er jetzt in einem Buch festgehalten: ein persönlicher Bericht über medizinische Einsätze, menschliche Begegnungen und die Frage, was ein Herz eigentlich ist – mehr als nur eine Pumpe, sagt er. Verlegt wurde das Werk im Sommer 2025, und es liest sich wie ein Gespräch bei einem Espresso am Hafen: ehrlich, konkret, manchmal nachdenklich.
Er rät nicht jedem, dem Alltag den Rücken zu kehren. Aber seine Botschaft ist klar: Wer auf sein Gefühl hört und bereit ist, anzupacken, findet Wege, die Arbeit mit dem Leben zu verbinden. Auf hoher See, zwischen Wellen und Landgängen, hat er seinen Platz gefunden. Und wir, in Palma oder anderswo, bekommen Geschichten, die man so aus einer Arztakte nicht kennt.
Buchtipp: "Ein Arzt für jede Welle" – erschienen im Juli 2025 (Goldmann). ISBN: 978-3-442-14316-0.