Teilzeit-Dörfer auf Mallorca: Wenn Zweitwohnungen das Leben ausdünnen

Teilzeit-Dörfer: Wie Zweitwohnungen Mallorcas Gemeinden aushöhlen

👁 5324✍️ Autor: Lucía Ferrer🎨 Karikatur: Esteban Nic

Immer mehr Häuser auf Mallorca stehen nur noch saisonal oder gar leer. Das verändert Dörfer und Leben vor Ort — und es gibt Wege, dagegen zu steuern.

Wenn die Nachbarin nur im Sommer da ist: Die stille Verwandlung unserer Dörfer

Man hört es am frühen Vormittag in Palma: das Knattern eines Motorrollers, das Klappern der Bäckertüten, der Klatsch der Verkäuferinnen am Markt. Fährt man aber zehn, zwanzig Kilometer weiter in die Tramuntana oder in ein südliches Bergdorf, dann ist es oft still. Nicht die wohltuende Inselruhe — sondern die Leere, die entsteht, wenn Häuser nur noch Teilzeit bewohnt werden. Viele Orte erleben inzwischen, dass mehr Wohnungen als Zweitwohnsitze, Ferienunterkünfte oder schlicht leerstehend registriert sind als echte, dauerhafte Haushalte.

Die Frage, die drängt

Warum verschwinden Nachbarn, Läden und Schulklassen aus Orten, die früher lebendig waren? Die einfache Antwort: Wohnraum wird zu einem Anlageobjekt, zu einer touristischen Ressource oder zu einem Wochenenddomizil. Das hat Auswirkungen, die nicht nur in Statistiken sichtbar sind. Es geht um die alltäglichen Dinge — einen offenen Supermarkt an einem Regentag, einen Fußballverein mit genug Kindern, eine Busverbindung, die nicht nur im Sommer fährt.

Was die Zahlen verbergen

In manchen Dörfern sind über die Hälfte der registrierten Wohnungen keine Hauptwohnsitze mehr. Das trifft nicht nur die Küste mit ihren Stränden, sondern überraschend oft die ruhigen Innenlandschaften: Deià, Fornalutx, Banyalbufar oder Santanyí sind Beispiele für Orte, die bei Wochenendgästen und Zweitwohnungsbesitzern beliebt geworden sind. Auf dem Land entsteht dadurch eine Art saisonaler Puls: Im Juli und August ist alles voll, im November und Februar sind die Straßen leer — die Kirchturmglocke klingt dann oft wie ein Echo.

Was vor Ort passiert

„Mein Sohn findet keine Wohnung mehr in der Nähe seiner Arbeit“, sagt eine Verkäuferin vom Wochenmarkt in Inca und steckt sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Früher war hier jeden Sonntag Leben, jetzt sind die Läden geschlossen.“ Solche Sätze hört man an Kiosken in Llucmajor, beim Bäcker in Sóller oder in Bars am Plaça in Manacor. Die Folgen sind konkret: Schulen schrumpfen oder schließen, kleine Supermärkte verlieren die Kundenbasis, Handwerksbetriebe finden weniger langfristige Aufträge.

Es gibt noch eine unterschätzte Dimension: kommunale Einnahmen und politische Teilhabe. Eigentümer, die nur zeitweise hier sind oder im Ausland wohnen, nehmen an Wahlen oder Treffen seltener teil — das verändert Prioritäten in Ratssitzungen. Gleichzeitig werden Infrastrukturkosten auf dauerhaft ansässige Haushalte umgelegt, während Leerstände öffentliche Mittel ineffizient beanspruchen.

Die oft übersehenen Mechanismen

Neben dem offensichtlichen Tourismusmodell gibt es Graubereiche: Scheinsanierungen, die eine kurzfristige Umwidmung ermöglichen; juristische Konstrukte, die Eigentum verschleiern; Registrierungspraktiken, bei denen Hauptwohnsitze formal verlegt werden, ohne dass Menschen tatsächlich umziehen. Auch technische Aspekte wie Strom- und Wasserverbrauch werden selten systematisch ausgewertet, obwohl sie Hinweise auf tatsächliche Nutzung liefern könnten.

Konkrete Hebel für Veränderung

Die Regierung hat Programme, um Leerstand zu reduzieren — Bürgschaften, Förderungen für die Vermietung an Einheimische, Kautionsmodelle. Genug? Nicht in allen Dörfern. Was wir zusätzlich brauchen, ist mehr Mut zur lokalen Steuerung:

- Bessere Daten und Kontrollen: Regelmäßige Abgleiche von Melderegistern mit Energie- und Wasserverbrauch könnten echte von falschen Hauptwohnsitzen unterscheiden.

- Finanzielle Anreize für Dauervermietung: Steuererleichterungen für Eigentümer, die langfristig an Bewohnerinnen und Bewohner mit geringem Einkommen vermieten.

- Sanktionen gegen Dauerleerstand: Moderate Leerstandsabgaben, die Eigentümer zur Nutzung motivieren, kombiniert mit Ausnahmen für nachweisbare Gründe.

- Kommunale Wohnfonds: Ein Teil der Touristengebühren könnte zweckgebunden in sozial orientierten Wohnungsbau fließen — für Genossenschaften, kommunale Neubauten oder Umwandlung leerstehender Gebäude.

- Lokale Tarifzonen und Beschränkungen für Kurzzeitvermietung: Nicht jede Gemeinde braucht das gleiche Modell. Kleinere Orte könnten striktere Regeln erlassen.

Ein Blick nach vorn

Die Lösung wird nicht einfach eine Regulierung mehr sein, sondern ein Mix aus Daten, Anreizen, Sanktionen und lokalen Initiativen. Manche Projekte funktionieren schon: Kommunen, die leerstehende Häuser mit Zuschüssen sanieren und an junge Familien vergeben; Genossenschaften, die gemeinsam Land und Häuser erwerben. Das ist aufwändig, aber möglich.

Was auf dem Spiel steht, ist mehr als Wohnraum. Es ist die Frage, ob Mallorcas Dörfer dauerhaft Teil des Alltags bleiben oder zu Kulissen verkümmern, in denen nur noch im Sommer Leben stattfindet. Wenn wir nicht handeln, verliert die Insel ein Stück ihrer sozialen Infrastruktur — das nette Gespräch an der Theke, die Schulklasse mit 15 Kindern, der Laden, der auch an einem regnerischen Dienstag geöffnet hat. Und das ist etwas, das sich nicht so ohne Weiteres wieder zurückholen lässt.

Die Nachbarin, die nur im Sommer da ist, hat uns schon längst gezeigt, wie das Ende einer ganzen Nachbarschaft beginnt. Jetzt ist die Frage: Wollen wir zuschauen — oder aktiv werden?

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