Plaça Major am Morgen: Koffer, Bäckerei, Kurier. Auf Mallorca sind Mehrfachjobs kein Einzelfall, sondern System. Wir fragen: Wie lange kann die Insel das noch aushalten – und was muss sich ändern?
Wenn ein Job nicht reicht: Warum Mallorcas Menschen oft mehrere Schichten schieben
Am frühen Morgen auf der Plaça Major: ein Rollkoffer, das Klappern von Trolleys, die Stimme der Verkäuferin, die schon die ersten Croissants auslegt. Nebenan kommt ein Mann aus der Tür einer Pension, übergibt den Schlüssel und sprintet zur Bäckerei. Später steht er mit Lieferbox auf dem Roller an der Hafenkante – im Geiste rechnet er die Stunden zusammen. Diese Szenen sind keine Randnotiz. Sie sind Alltag.
Eine Leitfrage, die bleibt
Wie lange kann Mallorca es sich leisten, dass ein Job nicht reicht? Das ist die zentrale Frage, die hinter den Zahlen und Geschichten steckt. Wer auf der Insel arbeitet und leben will, jongliert oft mit Saisons, Teilzeitverträgen und Nebenjobs. Das ist keine Abenteuergeschichte, sondern eine Binnenrealität: Mieten steigen, Wohnraum verschwindet in Ferienportalen, und die Löhne kommen selten hinterher.
Mehr als nur Statistik: fehlende Absicherung, viele Gesichter
Ja, die Umfragen zeigen hohe Anteile der Beschäftigten mit Mehrfachjobs. Aber darunter verbergen sich Dinge, die selten laut besprochen werden: informelle Nebenverdienste ohne Sozialversicherung, die Kombination von Pflegeberufen mit Nachtarbeit im Tourismus, und junge Menschen, die zwei Jobs brauchen, um eine Wohnung zu teilen. Eltern, vor allem alleinerziehende Mütter, nehmen zusätzliche Schichten an, weil Kinderbetreuung nicht durchgehender verfügbar oder bezahlbar ist.
Und es gibt einen räumlichen Effekt: In Orten wie Port de Sóller oder Cala Ratjada hört man in der Saison nicht nur Fremdsprachen, sondern auch das ständige Kommen und Gehen von Teilzeitkräften, die zwischen Hotel, Supermarkt und Strandbar pendeln. Auf dem Land clocken Saisonarbeiter zwischen Landwirtschaft und Gastronomie hin und her. Die Belastung hört man am Abend – keine Kirchenglocken, sondern das Brummen der Lieferroller und das Klirren der Pfannen.
Warum typische Lösungen zu kurz greifen
Kurzfristige Lohnaufstockungen sind wichtig, aber allein nicht ausreichend. Wenn Wohnungen als Ferienobjekte profitabler sind als Langzeitvermietungen, sorgt kein höherer Stundenlohn dafür, dass jemand bleiben kann. Und wenn Verträge nur für sechs Monate gelten, plant niemand ein stabiles Leben auf der Insel. Die saisonale Ökonomie erzeugt unsichere Karrierepfade; Qualifikation nützt wenig, wenn der Markt keine verlässlichen Vollzeitstellen bietet.
Was oft übersehen wird
Einige weniger beachtete Aspekte verdienen mehr Aufmerksamkeit: die Rolle lokaler Investoren, die Steuer- und Zweckbindung von Tourismusabgaben, und die Perspektive der Arbeitgeber. Kleine Hotels und Familienbetriebe kämpfen selbst mit Nebenkosten, doch größere Investmentgesellschaften treiben die Preise für Wohnraum nach oben. Außerdem: Die informelle Kinderbetreuung in Nachbarschaften erhält die Arbeitsfähigkeit vieler Familien — aber sie ist nicht gleichzusetzen mit planbarer, gesicherter Betreuung.
Konkrete Ansätze statt Allgemeinplätze
Was könnte helfen? Einige Vorschläge, die über Sonntagsreden hinausgehen:
Bezahlbarer Wohnraum: Strenge Vorgaben gegen Umwidmungen von Mietwohnungen in Ferienappartements und Förderprogramme für genossenschaftliches Wohnen.
Verlässliche Jahresverträge: Anreize für Betriebe, Saisonkräfte länger zu binden – etwa durch steuerliche Erleichterungen, wenn ein Teil der Belegschaft ganzjährig beschäftigt wird.
Gezielte Tourismusabgabe: Einnahmen aus einer solidarischen Tourismussteuer direkt in Wohnbau, Kinderbetreuung und Weiterbildung investieren.
Stärkung der sozialen Infrastruktur: Ausbau von Ganztagsbetreuung, flexible Schichtmodelle für Pflegeberufe und bezahlbare Transportangebote für Pendler aus Randgemeinden.
Förderung von Tarifverträgen und Qualifizierung: Mehr Tarifbindung in der Branche; Weiterbildungsmöglichkeiten für Saisonkräfte, damit Aufstieg auch innerhalb der Inselwirtschaft möglich wird.
Ein Appell an Planung und Verantwortung
Die Insel lebt vom Tourismus — und das ist gut so. Aber wenn am Ende drei Jobs statt Lebensqualität stehen, dann ist das kein Erfolg mehr. Investoren, Politik und Betriebe müssen zusammendenken: Wer hier baut und plant, trägt Verantwortung für die Familien, die an seinem Projekt hängen. Son Ferrer, Palma, Port d’Alcúdia — überall gibt es Menschen, die aufstehen, arbeiten und nach Hause kehren wollen, ohne weitere Schichten zählen zu müssen.
Kurzfristige Hilfen sind nötig. Langfristig brauchen wir eine Wirtschaftsstruktur, die es erlaubt, mit einem ordentlichen Job auf Mallorca leben zu können. Sonst droht die Insel nicht nur ein touristisches Übergewicht, sondern leerläuft — leise, Schicht um Schicht.
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