Freispruch in Inca: Fragen zur Beweislage und Prävention

Freispruch in Inca: Warum das Urteil mehr Fragen stellt als beantwortet

👁 2347✍️ Autor: Adriàn Montalbán🎨 Karikatur: Esteban Nic

Ein spanisches Gericht sprach sechs Männer aus Inca frei, obwohl es von einer Radikalisierung ausging. Leitfrage: Reicht Sympathie für eine Gruppe, um Terrorgefahr zu beweisen?

Freispruch in Inca: Warum das Urteil mehr Fragen stellt als beantwortet

Leitfrage: Reicht die nachgewiesene Sympathie für den IS aus, um von einer konkreten Terrorgefahr zu sprechen?

Am späten Nachmittag in Inca, wenn der Markt an der Plaça des Born langsam leerer wird und die Kirchenglocken über den Geruch von frisch gebackenen Ensaimadas hängen, diskutieren Menschen am Kaffeeautomaten über das Gerichtsurteil. Sechs Männer, 2017 festgenommen, jetzt vom Vorwurf, eine dschihadistische Zelle gebildet zu haben, freigesprochen. Das Gericht sagt: Anhänger der «radikalsten Linie des Islam» ja, Beweise für konkrete Anschlagspläne nein. Für viele hier klingt das logisch, für andere beunruhigend.

Der Kern des Urteils ist juristisch simpel und doch unbequem: Neigung zur Straftat genügt nicht. Die Staatsanwaltschaft hatte Haftstrafen von fünf bis acht Jahren gefordert; die Richter fanden die Beweislage unzureichend. Vorgelegte Elemente wie ein vierteiliges YouTube-Video, das in Teilen auf Mallorca gedreht wurde, radikales Propagandamaterial auf Computern und überwachte Gespräche reichten nicht, um Intent und konkrete Vorbereitung zu belegen.

Kritische Analyse: Das Gericht hat rechtliche Schranken sichtbar gemacht. Für eine Verurteilung braucht es mehr als Sympathie, mehr als verstörende Gedankenspiele. Trotzdem bleibt die Alarmglocke: Abgehörte Gespräche, in denen von Überfahren oder Niedermetzeln die Rede ist, klangen nach mehr als bloßen Wunschphantasien. Die Schwierigkeit liegt im Beweismaß – und in der Frage, wie sich digitale Spuren und Propaganda vor Gericht interpretieren lassen.

Was im öffentlichen Diskurs fehlt, ist die nüchterne Trennung zwischen Sicherheitsarbeit und Prävention. Oft wird in den sozialen Medien das eine mit dem anderen vermischt: Wer radikale Videos sammelt, muss nicht zwangsläufig ein Anschlagplaner sein. Gleichzeitig könnte gerade diese Unterscheidung dazu führen, dass Gefährdungspotenziale übersehen werden, weil Ermittler sich auf das höchste Beweisniveau konzentrieren müssen.

Alltagsszene: Vor dem kleinen Supermarkt an der Carrer Major unterhalten sich zwei Nachbarinnen über die Kirche und über eine Moschee in der Nähe, die manchen zu konformistisch erscheint, anderen zu provokativ. Inca ist eine überschaubare Stadt; Gerüchte gehen schnell herum. Solche Nachbarschaftsgespräche zeigen, wie nahe Präventionsarbeit und Stigmatisierung beieinanderliegen.

Konkrete Lösungsansätze: Erstens: Klare Leitlinien für den Umgang mit digitalem Propagandamaterial. Besitz allein darf nicht automatisch kriminalisieren, aber seine Verbreitung und zielgerichtete Nutzung müssen nachweisbar gemacht werden. Zweitens: Mehr Transparenz bei Überwachungsmaßnahmen und unabhängige Kontrolle, damit Eingriffe verhältnismäßig bleiben. Drittens: Ausbau von Ausstiegs- und Deradikalisierungsangeboten auf den Balearen; Prävention funktioniert vor Ort, nicht nur im Gerichtssaal. Viertens: Schulungen für Richter und Staatsanwälte zum digitalen Beweismaterial und zur psychologischen Dynamik von Gruppendruck und Online-Radikalisierung. Fünftens: Förderung lokaler Dialogforen zwischen muslimischen Gemeinden, Schulen und Sozialdiensten, damit Sorgen offen und ohne Stigmatisierung angesprochen werden können.

Pointiertes Fazit: Das Gericht hat den rechtsstaatlichen Maßstab verteidigt – gefährliche Inhalte allein reichen nicht für Haft. Das ist juristisch korrekt, politisch aber unbequem. Sicherheitspolitik darf nicht in Pauschalverurteilungen abgleiten, sie braucht zugleich bessere Instrumente, um Gefährdungen früher, zivil und zielgerichtet zu erkennen. Wer in Inca zwischen Marktständen und Moschee leben will, erwartet beides: Schutz vor Anschlägen und Schutz vor vorschneller Stigmatisierung. Beides verlangt Arbeit, Zeit und ehrliche Debatten – nicht nur Gerichtsentscheidungen.

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