Wenn Mallorca zur Bühne wird
Manchmal reicht ein Ort, um viele Geschichten auf einmal zu erzählen. In diesem Fall ist es eine kleine Kirche bei Campos, die auf keiner Postkarte steht und trotzdem zum Schauplatz eines 600-seitigen Krimis wurde. Der Autor, Fotograf und Essayist hat seine Insel nie wie eine Kulisse behandelt, eher wie einen Satz vergessener Türen, hinter denen noch etwas lauert.
Worum geht’s?
Auf dem Papier trifft hier eine moderne Rattenlinie auf vatikanische Geheimnisse, alte Netzwerke und einen mythischen Schatz. Klingt nach Hollywood? Ja, ein bisschen. Und genau das wollte der Schreiber: Tempo, Überraschung, aber auch ein Gefühl dafür, dass Mallorca mehr ist als Meer und Sonnenschirme. Erzählerische Werkzeuge: kurze Kapitel, schnelle Schnitte — so liest sich das Buch wie ein Film, den man an einem zu heißen Nachmittag im September nicht aus der Hand legen kann.
Warum ausgerechnet Sant Blai? Die Església de Sant Blai ist für ihn ein Ort mit persönlicher Bedeutung: vor über 18 Jahren hat er dort geheiratet. Diese Vertrautheit merkt man den Szenen an. Die legendären Katakomben, die im Roman auftauchen, sind eine Erfindung — aber sie funktionieren im Kopf, weil der Autor die Umgebung kennt: die staubigen Wege um Campos, das Meer in der Ferne, die Gespräche mit Einheimischen.
Historische Fakten tauchen auf, Institutionen sind oft real, Figuren und viele Details aber frei erfunden. Das sorgt für Spannung, ohne in plumpe Nachahmung zu verfallen. Und ja: Selbst der Papst kommt kurz vorbei, inkognito, um die Dramaturgie zu verschärfen. Wer beim Lesen Augen rollt, bekommt schnell genug eine Szene, die das wieder geradezieht.
Figuren und Motive
Im Zentrum steht ein Selfmade-Millionär aus der Tech- oder Start-up-Welt: reich, rastlos und mit einem Trauma in der Tasche. Er taucht mit einem U-Boot nach versunkenen Relikten, sucht Sinn und findet Verantwortung. Es ist eine klassische Figur — nur eben mit zeitgenössischem Anzug und digitalen Narben.
Abseits der Action bleibt der Autor Essayist: Er flicht knappe, prägnante Sätze ein, wie man sie aus seinen Kolumnen kennt. Das Ergebnis ist ein Krimi, der lokal verwurzelt wirkt und doch internationale Fragen stellt: Schuld, Vergessen, Macht.
Das Buch erschien Ende 2024 bei Edition WinterWork (Paperback, 598 Seiten, ca. 19 €). Der Autor arbeitet bereits an einer neuen Geschichte, die diesmal dunkle Seiten der Pharmaindustrie beleuchten soll. Wer also beim nächsten Spaziergang um Sant Blai auf einmal genauer hinsieht, sollte nicht überrascht sein — die Insel hat mehr Geschichten, als die meisten denken.