Zahlen, Gerüche, Entscheidungen: Warum immer mehr Inselbewohner ihre Wohnung verkaufen und in Galicien neu anfangen — und was das für Mallorcas Nachbarschaften bedeutet.
Wohin mit dem Zuhause? Wenn die Rechnung die Insel verändert
Auf dem Weg zum Bäcker in Santa Catalina mischt sich das Klappern der Kaffeetassen oft mit einem resignierten „Zu teuer.“ Man hört es an der Theke, im Bus nach El Molinar, beim Plausch am Hafen, wenn die Tramontana das Meer aufrührt. Aus dieser leisen Klage ist in den letzten Jahren eine handfeste Bewegung geworden: Mallorquiner verkaufen ihre Wohnungen in Palma oder an der Küste und ziehen — nicht selten weit — in den grünen Nordwesten Spaniens, nach Galicien.
Leitfrage: Warum gehen Menschen — und was bleibt hier?
Die Rechnung dahinter ist einfach und schonungslos: Für 300.000 bis 400.000 Euro, die man auf Mallorca für eine kleine Wohnung erzielen kann, erhält man in Galicien oft ein ganzes Haus mit Garten. In Dörfern bei Lugo tauchen Immobilienangebote ab 60.000 Euro auf, Städte wie A Coruña bieten Wohnungen zwischen 50.000 und 250.000 Euro. Für Rentner ist das die Aussicht auf Ruhe; für Familien die Chance auf Raum zum Atmen. Makler spüren eine Nachfrage — nicht nur Kriegsflüchtlinge des Marktes, sondern Menschen, die bewusst einen anderen Alltag wählen.
Was in der öffentlichen Debatte zu kurz kommt
Viel wird über Ferienwohnungen und Mietexplosionen gesprochen — aber weniger über die Kaufpreis-getriebene Abwanderung der Einheimischen. Zwei Effekte sind oft unterbelichtet: Erstens die Entdichtung ganzer Quartiere. Wenn Familien, Rentner und junge Paare nach und nach gehen, verschwinden nicht nur Bewohner, sondern Alltagsgeräusche: der Weg zur Schule, das Kinderlachen, die Plaudereien an der Bodega.
Zweitens die Umwidmung: Nicht jede verkaufte Wohnung bleibt ein Zuhause für Dauerbewohner. Manche Eigentümer sehen in Leerstand eine Chance für Ferienvermietung. Das vermindert das Angebot an dauerhaftem Wohnraum weiter — ein Teufelskreis, der die soziale Mischung ausdünnt und Nachbarschaften sterilisiert.
Kurzfristige Entlastung, langfristiges Risiko
Ja, Abwanderung entspannt kurzfristig den Druck auf Mieten und Hauskauf. Aber sie riskiert die Substanz: Wer betreibt später die Bars, unterrichtet an der Schule, sorgt für die Alten? Wenn junge Arbeitskräfte fehlen, droht ein Strukturverlust, den man nicht einfach durch touristische Angebote ersetzen kann. Leere Wohnungen werden zu Spekulationsobjekten oder zu Apartments für Wochenendgäste — beides schadet dem städtischen Gefüge.
Man sieht es an stillen Straßen, an Leerständen mit vergilbten Aushängen, an Schaufenstern, die nicht mehr von der Stammkundschaft frequentiert werden. Das ist keine abstrakte Stadtsoziologie, das ist das Ende des kleinen, alltäglichen Lebens, das Mallorca so eigen gemacht hat.
Konkrete Handlungsfelder — keine Patentrezepte, aber Ideen
Statt reflexhaft Verbote zu fordern, brauchen wir lokal verankerte Antworten, die Wohnraum sichern und Investitionen lenken. Einige pragmatische Vorschläge:
1. Sozialer Wohnungsbau & Renovierungsfonds: Gemeinden sollten gezielt Bestände ankaufen oder reservieren, um Langzeitmieter zu sichern. Ein Renovierungsfonds könnte verfallene Altbauten für Einheimische attraktiv machen — statt sie an kurzfristige Vermietung zu verlieren.
2. Steuerliche Anreize: Kauf- und Steuererleichterungen für junge Familien, die in bestimmten Vierteln bleiben oder zurückkehren. Umgekehrt Abschläge für Eigentümer, die gewinnorientiert Ferienvermietung betreiben statt an Dauermieter zu vermieten.
3. Regulierte Umwandlung: Klare Regeln zur Umwandlung von Wohnraum in Ferienwohnungen — verbunden mit einer Mindestquote für Langzeitmiete in sensiblen Zonen und einer Meldepflicht für Leerstände.
4. Stärkung der ländlichen Infrastruktur: Mobile Verwaltungszentren, bessere Busverbindungen, und Co‑Working‑Hubs auf dem Land können Druck aus den Stadtvierteln nehmen und flexibles Arbeiten ermöglichen.
5. Nachbarschaftliche Modelle: Genossenschaften, gemeinschaftliche Renovierungen und Mikrofinanzierungsprojekte können Grundstücke und Häuser in lokaler Hand halten — und so den Wegzug bremsen.
Blick nach vorn: Wer bleibt, muss planen — und die Politik handeln
Auf dem Weg zum Hafen hat neulich ein Kollege gesagt: „Wer bleiben will, muss planen.“ Das gilt für einzelne Haushalte wie für die Stadtpolitik. Mallorca steht vor einer doppelten Aufgabe: Die touristische Anziehungskraft zu nutzen, ohne die eigene Substanz zu opfern. Wer ausschließlich die kurzfristigen Erlöse sieht, riskiert, das dauerhafte Leben auf der Insel zu zerstören.
Die Entscheidung, warum jemand nach Galicien geht — der Duft von feuchter Erde, der Garten, weniger Stress — ist verständlich. Die Frage für Mallorca ist, ob die Insel genug Raum und Perspektive lässt, damit die Menschen hier bleiben können. Wenn nicht, werden die Straßengeräusche irgendwann nur noch von Touristen stammen — und die echten Nachbarn fehlen.
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