Arbeit schützt nicht vor Obdachlosigkeit: Palmas wachsende Krise

Wenn Arbeit nicht mehr vor dem Schlafen im Freien schützt: Palma steht an einer sozialen Weggabelung

👁 7856✍️ Autor: Adriàn Montalbán🎨 Karikatur: Esteban Nic

Die Zahl der Menschen, die in Palma trotz Arbeit oder Sozialleistungen unter freiem Himmel schlafen, steigt. Mobile Teams berichten von immer mehr Hilferufen. Warum reicht Einkommen heute nicht mehr für ein Dach über dem Kopf – und welche Lösungen gibt es?

Wie konnte es so weit kommen? Die zentrale Frage

Wenn man am frühen Morgen durch Palmas Altstadt läuft, mischt sich das Klappern der Müllwagen mit dem Ruf der Tauben über der Plaça. Gleichzeitig sehen immer mehr Nachbarn Menschen, die sich auf den Treppen von Geschäften zusammenrollen oder in Türdurchgängen übernachten. Die Frage, die Sozialarbeiter wie Hugo stellen, steht wie ein Knoten im Hals der Stadt: Warum reicht regelmäßige Arbeit längst nicht mehr aus, um eine Wohnung zu halten?

Die Lage: Mehr Menschen auf der Straße — auch tagsüber

In diesem Jahr haben die nächtlichen Hilfsteams rund 1.940 Kontakte gezählt. Hugo, der seit Jahren nachts unterwegs ist, berichtet von bis zu 40–50 Anrufen pro Abend. Sein Team, etwa ein Dutzend Menschen, priorisiert nach Gefährdungslage: erst die Vulnerablen, dann die anderen. Doch die Zahl der Anfragen wächst — und mit ihr die Vielfalt der Betroffenen. Es sind nicht mehr nur Menschen mit sichtbaren Suchterkrankungen oder schwere psychische Krisen. Immer öfter treffen Helfer auf Rentnerinnen, Saisonarbeiter, Migrantinnen und Migranten sowie auf Menschen mit Jobs, die trotzdem keine Wohnung bezahlen können. Mallorcas Straßen werden länger: Warum mehr als 800 Menschen ohne Dach sind und nichts von selbst löst

Wohnen wird zum Luxus — Perspektiven sind rar

Zimmerpreise in Palma bewegen sich in sozialer Wahrnehmung zwischen 400 und 900 Euro. Für einen Arbeitnehmer mit Niedriglohnjob bleibt da kaum etwas übrig. Die städtischen Notunterkünfte haben Wartelisten, beim regionalen Sozialamt IMAS sind Plätze knapp. Neue Einrichtungen — etwa 18 Plätze im Januar 2024 oder das Heim in Binissalem mit 26 Betten — lindern, stoppen die Welle aber nicht. Geplante Erweiterungen scheitern, andere Gespräche über den Ankauf kleinerer Einrichtungen ziehen sich hin. Bis Lösungen greifen, verteilen die Teams Decken, Schlafsäcke und Brot und versuchen, langfristige Begleitung anzubieten. Zwischen Promenade und Pappschuppen: Can Pastilla vor einer sozialen Zerreißprobe

Ein Blick hinter die Zahlen: Mehr als nur ein Wohnungsproblem

Was in Schlagzeilen oft fehlt: Die Überschneidung von Arbeitsmarkt, Gesundheitssystem und Wohnungsmarkt. Niedrige Löhne, befristete Verträge in Hotellerie und Gastronomie, steigende Nebenkosten und hohe Kautionen drängen Menschen an den Rand. Gleichzeitig fehlt es an niedrigschwelligen Beratungsangeboten, die akut intervenieren können — und an flexiblen Übergangsmodellen, die Menschen aus prekären Beschäftigungsverhältnissen auffangen. Ein weiterer kaum sichtbarer Faktor sind die Leerstände durch Zweitwohnungen und kurzzeitige Ferienvermietungen. Sie drücken das Angebot, treiben Preise hoch und erschweren dauerhaften Wohnraum. Dazu kommen bürokratische Hürden beim Zugang zu Sozialleistungen und lange Wartezeiten für betreute Wohnplätze. All das zusammen erklärt, warum auch Arbeit keine Garantie mehr ist.

Was bisher hilft — und warum es nicht reicht

Mobile Teams leisten großartige Krisenhilfe: Sie retten Nächte, stellen Erstkontakte her und vermitteln in Notunterkünfte. Ehrenamtliche verteilen Decken, Patenschaften entstehen. Doch diese Hilfe ist meist punktuell. Hugo bringt es auf den Punkt: „Auf der Straße auszuhelfen ist wichtig, aber das reicht nicht. Wir brauchen Lösungen, die Menschen wieder dauerhaft in Sicherheit bringen.“ Obdach am Paseo Mallorca: Wenn die Parkbank zur letzten Adresse wird

Kritische Baustellen, die oft übersehen werden

1) Arbeitsverträge und Einkommenssicherheit: Wer nur für Monate angestellt ist, kann kaum eine Wohnung mit Kaution und Nachweis mieten. 2) Wohnraumbindung: Fehlende Anreize für Vermieter, dauerhaft an sozial Schwächere zu vermieten. 3) Integration von Gesundheits- und Sozialdiensten: Obdachlosigkeit ist häufig ein multifaktorielles Problem, das medizinische, psychologische und soziale Antworten braucht. 4) Prävention: Frühe Wohnungsnothilfe könnte das Abrutschen verhindern — doch sie fehlt vielerorts.

Konkrete Chancen und Vorschläge — pragmatisch, lokal, schnell

Die Stadt kann nicht allein alles lösen. Aber einige Hebel sind schnell zu ziehen:

- Kurzfristiger Ausbau von Übergangsplätzen: Pop-up-Notunterkünfte in leerstehenden kommunalen Gebäuden, modular und schnell einsetzbar, um akute Druckspitzen abzufedern.

- Mietzuschüsse mit Anbindung an Sozialberatung: Direkte Hilfe, kombiniert mit Unterstützung bei Behördengängen und Rechtsberatung, damit Kautionen und erste Monate überbrückt werden.

- Kooperation mit Arbeitgebern: Branchennahe Lösungen für Hotel- und Gastronomiepersonal: bezahlbare Mitarbeiterunterkünfte oder steuerliche Anreize für Arbeitgeber, Wohnmöglichkeiten zu schaffen.

- Leerstandsmanagement: Temporäre Nutzung von leerstehenden Ferienwohnungen für sozial gebundenen, befristeten Wohnraum. Das würde Angebot schaffen, ohne den Kernmarkt dauerhaft zu verzerren.

- Ausbau der mobilen Teams: Mehr Personal, bessere Ausstattung, verbindliche Nachtbetreuung mit psychosozialen Diensten, sodass akute Hilfe nachhaltiger wirkt.

Blick nach vorne: Mallorca muss handeln

Palma ist voller Kontraste: Morgens der Duft von Kaffee an der Plaça, abends die Lichter der Promenade — und an manchen Ecken Menschen, die keine sichere Nacht haben. Die Herausforderung ist nicht nur administrativ, sie ist moralisch und ökonomisch: Eine Stadt, die darauf angewiesen ist, gut funktionierende Dienste und Arbeitskräfte zu haben, kann es sich nicht leisten, Menschen unter freiem Himmel schlafen zu lassen.

Es braucht politischen Willen, pragmatische Zwischenlösungen und eine Debatte darüber, wie Tourismus, Arbeitsmarktpolitik und Wohnungsbau künftig zusammenwirken. Wenn Mallorca jetzt handelt — mit verbindlichen, lokalen Maßnahmen und klaren Prioritäten —, kann die Insel nicht nur Nächte retten, sondern Menschen eine Perspektive zurückgeben. Das ist möglich. Aber es wird Zeit. Und die Nächte werden nicht warten.

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